Das Ostergeheimnis: Wie ich den Glauben an den Weihnachtsmann verlor aber dafür wieder an den Osterh
- henriettefraedrich
- 1. Apr. 2015
- 6 Min. Lesezeit

Ich gehörte immer zu den Kindern, die noch verhältnismäßig lange an den Weihnachtsmann glaubten. Für mich gab es an der Existenz des rauschebärtigen Greis im roten Mantel keinerlei Zweifel. Ich hatte ihn zwar nie in echt gesehen, zufälligerweise machte ich immer gerade Mittagsschlaf, wenn er an Weihnachten bei uns war und die Geschenke ablieferte. Das war mir auch ganz recht, denn man hatte als Kind ja schon auch immer ziemlich Schiss vor diesem Typen. Auch die Erklärung meiner Mutter, er hätte nicht so viel Zeit, er müsse eben schnell weiter, weil er ja auch die ganzen anderen Kinder beschenken muss, leuchtete mir völlig ein.
Als ich 6 Jahre alt war, erfuhr ich die bittere Weihnachtswahrheit. Ich war mit meiner Mutter unterwegs, und in einem Kaufhaus entdeckten wir eine niedliche Plüschmaus, die ich unbedingt haben wollte. Meine Mutter erbarmte sich, und kaufte sie tatsächlich. Allerdings nur unter einer Bedingung: Ich würde sie erst an Weihnachten bekommen. Bis dahin müsste ich mich gedulden. Ich akzeptierte den Deal. Schließlich ist Vorfreude die schönste Freude. Und so freute ich mich auf meine Maus.
Ein paar Tage später fand auf der Arbeit meiner Mutter eine Weihnachtsfeier für die Kinder der Angestellten statt. Das war damals so üblich. Wir Kids saßen also in dem festlich geschmückten Raum, aßen Pfefferkuchen, Plätzchen und Orangen, die damals noch Apfelsinen hießen. Wir sangen Weihnachtslieder und spielten. Und natürlich warteten wir alle ehrfurchtsvoll auf den Mann in rot. Der Weihnachtsmann sollte tatsächlich heute und hier vorbei kommen. Ich hatte große Angst, denn noch nie bin ich dem Weihnachtsmann vorher begegnet. War ich wirklich brav genug? Hatte ich zu befürchten, dass ich statt Geschenke eine Tracht Prügel mit der Rute bekomme? Ich war mir da nicht so sicher. Dann rumpelte und polterte es, und da war er: Mister Christmas höchstpersönlich. Ehrfurchtsvoll starrten wir Kinder ihn an. Dann rief er die Namen der anwesenden Kinder nacheinander auf. Woher er unsere Namen musste, war mir unklar, aber hey, es ist halt der Weihnachtsmann, der weiß halt alles. Die Kinder mussten alle einzeln vortreten, zum Weihnachtsmann gehen und dann ein Weihnachtslied oder ein Weihnachtsgedicht aufsagen. Erst dann bekamen sie ihr Geschenk. Ich machte mir fast in die Hose vor Angst. Zumindest sah es so aus, als würde niemand die Rute bekommen. Erleichterung. Dann sagte der Weihnachtsmann mit seiner tiefen Stimme meinen Namen. Oh Gott. Schluck. Ich ging nach vorne, mein Herz pochte. Ich traute mich kaum, den Weihnachtsmann anzuschauen. „Henriette,“ polterte er mit seiner tiefen Stimme, „was hast du für mich vorbereitet?“ „Ein Gedicht,“ antwortete ich leise piepsend, und trug es dann leise und konzentriert vor. Ich wollte nur noch weg. Ich hatte wirklich Angst. Und die Situation war wirklich unangenehm. Vor mir der Weihnachtsmann, hinter mir all die Zuschauer, es war schrecklich und einschüchternd. Aber irgendwie manövrierte ich mich da durch. „Gut gemacht, Henriette“, sagte der rote Mann wohlwollend, und drückte mir mein Geschenk in die Hand. Ich ging an meinen Platz zurück und war heilfroh, das überstanden zu haben.
Als alle Kinder vorm Weihnachtsmann bestanden und ihre Geschenke bekommen hatten, durften wir endlich auspacken. Ich war schon ziemlich neugierig. Überall rissen die Kinder ihre Päckchen auf, und überall raunten „Ohhs!“ und „Ahhhs!“ durch den Raum. Als ich mein Geschenk aufmachte, traute ich meinen Augen kaum: Die gleiche Maus, die meine Mutter für mich gekauft hatte! Ich war völlig perplex. Ich freute mich total, denn so konnte ich meine Maus schon viel eher in den Händen halten und kuscheln. Und ich freute mich auch, dass ich bald sogar zwei Mäuse haben würde, denn meine Mutter schenkt mir genau diese Maus ja auch noch. „Das ist ja lustig!“ sagte ich zu einem Mädchen an meinem Tisch, „Guck mal, ich habe eine schöne Kuschelmaus bekommen, und genau die gleiche hat meine Mama mir auch gekauft, und die bekomme ich dann auch noch von ihr!“ Ich war völlig begeistert und von den hellseherischen Kräften des Weihnachtsmannes wirklich angetan. Das Mädchen zeigte sich unbeeindruckt, sie lachte nur und klärte mich dann auf: „Mann bist du ein Doofi. Das ist doch genau die Maus, die deine Mutter gekauft hat! Sie hat sie hier abgegeben, damit du sie von diesem Weihnachtsmann hier geschenkt bekommst. Den Weihnachtsmann gibt´s doch gar nicht! Das ist doch nur irgendein Mann, der sich verkleidet hat.“ Die Worte „Den Weihnachtsmann gibt es nicht“ schallten in meinem Kopf. Was?! War das ihr Ernst?! Ich starrte auf die Maus in meiner Hand und mir wurde schlagartig bewusst, dass das Mädchen Recht hatte. Und so zerplatzte an genau diesem Abend meine Illusion vom Weihnachtsmann. Interessanterweise war ich aber gar nicht so enttäuscht. Ich war vielmehr erleichtert. Dann musste ich auch gar keine Angst mehr haben. Über meine Plüschmaus freute ich mich aber trotzdem immens. War mir völlig egal, von wem sie nun kam. Maus ist Maus.
Auch an den Osterhasen glaubte ich lange. Zumal mir die Vorstellung von so einem putzigen Osterhäschen mit Eierkorb in den Pfoten schon immer viel sympathischer war als die eines alten, knurrigen Weihnachtsmannes. Als ich ungefähr 7 Jahre alt, und eigentlich schon nicht mehr an die Sache mit Weihnachtsmann und Osterhase glaubte, vollbrachten meine Eltern ein kleines Wunder, das bis heute unaufgeklärt ist – und an das ich bis heute mit einem Lächeln und mit Staunen zurück denke.
Ostersonntag. Meine Eltern und ich waren im Urlaub in den Bergen und der Frühling kitzelte schon alles wach. Es war herrlichstes Wetter, und es war klar, dass wir den schönen Tag für eine Wanderung nutzen werden. Die Begeisterung hielt sich bei mir in Grenzen, Kinder hassen Wandern per se. Dennoch fügte ich mich meinem Schicksal, als Siebenjährige hat man eben auch nicht so viel zu melden. Meine Eltern stellten zudem in Aussicht, dass, wenn wir von der Tour zurück kommen würden, vielleicht der Osterhase da war. Die Nummer mit dem Osterhasen zog bei mir natürlich nicht mehr, trotzdem machte ich das Spiel mit und freute mich auf mein Osternest mit Schokolade und Eiern, das ich also später von meinen Eltern bekommen würde.
Wir packten unsere Rucksäcke, ein bisschen Proviant rein, und dann stiefelten wir los. Zu meiner Überraschung machte mir die Wanderung wirklich Spaß, es war herrlichstes Frühlingswetter, die Sonne glitzerte, das Grün leuchtete, es war tolle Luft, kleine Bäche und Brücken machten den Weg spannend, und meine Eltern hatten unsäglich gute Laune und wir quatschten und alberten viel herum. Es war richtig schön. Nachdem wir schon ein gutes Stück geschafft hatten und gut zwei Stunden unterwegs waren, machten wir auf einer großen, grünen Wiese Picknick und ruhten uns aus. Meine Mutter und ich alberten ein wenig herum, mein Vater verschwand kurz hinter einem Baum und machte sein kleines Geschäft. Als er wieder kam, sagte er ganz verdutzt zu mir: „Ähm, Henriette, also, ich glaube, der Osterhase war hier!“ Ich schaute ihn ungläubig an: „Haha, Papa, sehr witzig! Veräppeln kann ich mich selbst!“ „Doch! Schau mal, da hinten, da blitzt doch was aus dem Gras, oder?“, mein Vater zeigte auf etwas Buntes, das tatsächlich ein Stückchen weiter zwischen dem Gras hervor lugte. „Häh? Was ist das denn?“, stammelte ich völlig perplex. „Ja geh doch mal gucken!“ sagte meine Mama lachend.
Zögernd stand ich auf und ging langsam auf das bunte Etwas zu. Und tatsächlich: Es war ein Osternest! Mitten auf einer Wiese in den Bergen, die wir noch nie zuvor gesehen hatten, auf der wir spontan picknickten, und die zwei Stunden von unserem Hotel entfernt war, wartete ein Osternest auf mich! Ich hob es auf und schüttelte ungläubig den Kopf. „Häh?! Wie geht das denn?“, fragte ich meine Eltern. Die kicherten und lachten. „Na, das war der Osterhase, was denn sonst!“ sagte mein Vater lachend. „Aber den gibt´s doch gar nicht!“, gab ich zurück. „Also wenn das nicht der Osterhase war, wer war das denn dann sonst?“ fragte meine Mutter schmunzelnd. „Na, ihr?“ sagte ich. „Wir?!“ sagte mein Vater und tat entrüstet, „wie soll das denn gehen? Wir sind doch auch hierher gekommen, zusammen mit dir. Und hast du gesehen, wie wir hier irgendetwas versteckt haben?“ Mein Vater hatte Recht. Es war unmöglich. Ich war die ganze Zeit mit meiner Mutter zusammen auf der Wiese, und mein Vater war nur kurz hinterm Baum. Er hatte keine Tasche dabei, wo vielleicht die Osternester drin waren, und ich sah ihn auch nicht über die Wiese huschen. Oder hatte ich es tatsächlich nicht bemerkt? Oder hatten sie vielleicht einen Komplizen? Ich war völlig von den Socken. „Henriette, akzeptiere es doch endlich! Es war der Osterhase!“ rief mein Vater. „Und guck doch mal weiter, der hat bestimmt noch mehr hier versteckt!“ schob meine Mutter hinterher.
Ich rannte über die Wiese und guckte hinter jeden Busch und Baum. Und tatsächlich fand ich noch etliche Osternester und Schoko-Hasen, über die ganze Wiese verteilt, in kleinen Grasmulden versteckt. Ich war völlig aus dem Häuschen. Ich freute mich nicht nur über die vielen Geschenke, sondern war auch richtig überrascht, hier mitten in den Bergen dem Osterhasen auf so mysteriöse Art und Weise begegnet zu sein. Wobei ich ihn ja nicht gesehen habe. Aber so sehr ich auch grübelte, ich kam auf keine schlüssige Lösung, wie meine Eltern diesen Coup hätten einfädeln und durchführen können. Es blieb nichts anderes übrig, als all das tatsächlich dem Osterhasen zuzuschreiben.
Natürlich gängelte ich meine Eltern seitdem immer wieder, sie mögen mir doch das Ostergeheimnis verraten. Doch immer wieder ernte ich verständnislose Blicke und als einzige Antwort „Was willst du denn aufklären oder was sollen wir dir denn verraten? Das war der Osterhase!“. Bis heute hält sich das Geheimnis um den magischen Ostersonntag, damals, in den Bergen. Und wenn ich ganz ehrlich bin, will ich die Wahrheit auch gar nicht erfahren. Was gibt es schöneres als die Erinnerung an diesen Osternachmittag im warmen, sonnigen Frühling und der Glaube daran, dass ein kleines Häschen über die Wiese gehoppelt ist und meine Osternester versteckt hat, nur für mich.
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