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KÖNNTEN WIR BITTE EINFACH NUR MAL ELTERN SEIN?

  • henriettefraedrich
  • 28. Mai 2014
  • 7 Min. Lesezeit

Ich habe ein Kind. Ich bin Mama. Mein Mann und ich, wir sind Eltern. Soweit, so gut, soweit, so normal. Normal heißt, man macht es einfach. Man schert sich nicht so viel drum. Man macht nicht so viel Geschiss. Normal heißt auch, es ist nichts Besonderes. Wobei unser Kind für mich und meinen Mann ganz persönlich natürlich schon etwas ganz Besonderes ist, aber Kinder zu bekommen und Eltern zu sein ist natürlich an sich nichts besonderes. Jeder Lurch, jede Raupe, jeder Steppenwolf und jede Seekuh bekommt Nachwuchs. Denn, ganz nüchtern betrachtet, es ist der Lauf der evolutionären und biologischen Dinge , dass man eben Kinder bekommt. Damit will ich natürlich nicht diejenigen diskreditieren, die keinen Nachwuchs haben (siehe auch Braucht man Kinder um glücklich zu sein?).



Natürlich hatte und habe ich immer wieder Zweifel, Ängste und Sorgen, die ich nicht hätte, hätte ich kein Kind. Natürlich denke ich viel darüber nach, ob wir alles „richtig“ machen, ob Söhnchen genug von allem bekommt, was er wirklich braucht, ob wir ihn genug fördern und fordern, ihm aber auch genug Freiraum lassen, ihn genug in Ruhe lassen, um sich selbst zu, hach, jetzt kommt schöner Pädagogen-Fachsprech, zu entfalten. Ich hinterfrage immer wieder meine Rolle als Mutter, bin ich die Mutter, die ich sein will, oder die ich gerne gehabt hätte (Ähm, nein, nicht immer. Zum Beispiel nachts, wenn ich vor Müdigkeit genervt rumpöble. Und mit Rumpöbeln meine ich rumpöbeln...). Und gleichzeitig bin ich immens genervt davon. Dass man gerade in Sachen Kinder und Elternsein so vieles hinterfragen und anzweifeln und optimieren muss. Und woran liegt das? An dieser unsäglichen Meinungs- und Bewertungskultur, die sich seit Jahren entwickelt. Ich weiß nicht, wie es „früher“ war, und es gab sicher immer zu jeder Zeit „Regeln“, wie man ein Kind zu erziehen hat. Und sicher hatte auch jeder „früher“ unterschiedlichste Meinungen zu allem und jenen. Nur besprach man das vielleicht beim Stammtisch in der Kneipe und beim Kaffeeklatsch, und dann war gut. Glaube ich.



"Halten uns denn alle für bekloppt?"


Und heute? Millionen Bücher darüber, wie man Kind groß zu ziehen hat. Millionen Zeitungsartikel darüber, was man seinem Nachwuchs mit auf den Weg zu geben hat. Und ganz oft Artikel darüber, was wir Eltern heutzutage alles falsch machen. Kein Wunder, dass man da ständig ins Grübeln gerät und mit sich selbst hadert. Aber ganz ehrlich: Halten uns denn alle für bekloppt? Wo ist das Vertrauen, dass wir, jeder auf seine Weise, sein Kind schon irgendwie geschaukelt bekommt? Neulich wieder, in irgendeiner Gazette, großes Interview mit Über-Pädago- und Psychologe Jesper Juul zum beliebten Drauf-Hau-Thema „Helikopter-Eltern“: Überbehütete Kinder seien vernachlässigte Kinder. Die derzeitige Eltern-Generation würde ihre Kinder überbehüten. Und deshalb werden diese Kinder mal quasi lebensunfähige Weicheier-Jammerlappen werden. Ähm, vielen Dank auch für diese Einschätzung. Das führt nun dazu, dass ich auf dem Spielplatz mit mir selbst hadere: Soll ich cool sein und mich um gar nichts kümmern, was da im Sandkasten von statten geht? Ähm, das geht nicht, die anderen Eltern gucken mich schon ganz vorwurfsvoll an, weil ich nicht gleich gehechtet komme, als mein Kleiner einer anderen Kleinen die rosa Schippe klaut. Ich dachte, ich halte es mal wie auf der Hunde-Wiese, da heißt es unter den Hunde-Eltern immer „Nicht einmischen, die machen das unter sich aus.“ Wenn ich das den Eltern erkläre, gucken die mich nur irritiert an. Nun, vielleicht liegt es auch an dem Vergleich mit den Hunden. Also, die coole Nicht-Helikopter-Mama zu sein, ist gar nicht so einfach. Denn dann findet mich zwar Jesper Juul vielleicht voll dufte und ich krieg´ ein Bienchen von ihm ins Hausaufgabenheft, aber ich bin bei den anderen Eltern auf dem Spielplatz unten durch, und am End hetzen die mir noch das Jugendamt auf den Hals.


Andersrum aber genauso: Wenn ich mich engagiert zu meinem buddelnden Sohn setze und zwischen ihm und den anderen Anspruch auf sein Kikaninchen-Förmchen anmeldenden Kindern liebevoll und geduldig vermitteln will, ernte ich genauso skeptische Blicke von den anderen Eltern, die mir sagen: „Meine Güte, was für eine Helikopter-Mutter. Kann die ihren Sohn nicht einfach mal alleine spielen lassen? Die machen das schon unter sich aus.“ Herr Juul, da haben wir den Salat. Nicht nur Typen wie Sie verurteilen und bewerten uns die ganze Zeit. Sondern wir werden per se immer und ständig in der freien Wildbahn bewertet und verurteilt. Vor allem von anderen Eltern. Und hier vor allem von anderen Müttern. Wie man´s macht, man macht es grad falsch. Und das macht mich ganz kirre.



"Ich habe verdammt noch mal ein Recht darauf, auch mal ausflippen zu dürfen!"


Oder ein vor einigen Monaten in den Social-Media-Kanälen rauf-und runter geposteter Rühr-Artikel von einer Mama, die erklärt, warum sie ihr Kind nicht mehr anschreien wird. Kinder sind so tolle Wesen und haben so tolle Seelen. Und sie verdienen unsere Geduld und Liebe. Jaja, weiß ich ja alles. Stimmt ja auch. Und zu 90% des Tages (hey, und auch zu 90% in der Nacht!) lebe ich das alles, was in dem Rührstück steht. Aber es gibt eben so Momente, wo man eben ausflippt. Und ich finde, ich habe verdammt noch mal ein Recht darauf. Ich bin kein Geduldsengel. Irgendwann platzt auch der gütigsten Mutter der Kragen und sie kreischt und krakeelt, dass sogar der Hund sich schon zitternd vor Angst unterm Sofa verkriecht (Ähm ja, unser Vierbeiner macht das wirklich – das ist mein Cool-Down-Barometer. „Hund zittert“ – Achtung, beruhigen!). Und das steht uns zu, und wir sollten dafür nicht verurteilt werden. Und genau das tut dieser Artikel. Wir Mütter haben sowieso immer wegen allem ein schlechtes Gewissen, zweifeln und grübeln ständig. Und wenn uns dann auch noch so eine Über-Mutter auftischt, wie falsch es ist, sein Kind anzuschreien, na vielen Dank auch. Wir wissen das selbst, dass das nicht schön ist. Aber muss immer alles nach rosa Cupcake aussehen? Warum kann man nicht Artikel schreiben mit der Überschrift „Ja, dein Kind anschreien ist nicht so toll, das weißt du selbst, aber mach dir nicht so einen Kopp, freak out, das kommt vor“. Kinder-Erziehung bzw. Alltag mit einem Kind ist eben nie so wie in sepia-farben getränkten Rosamunde-Pilcher-Fantasien. Ich würde diese Mutter jedenfalls mal zu gerne im Alltag sehen und sie an ihren eigenen Worten messen.



"Nur eine weitere Zutat im Mach-uns-Müttern-ein-schlechtes-Gewissen-Cocktail"


Manchmal muss man einfach rumschreien als Mama, auf den Tisch hauen und „Ruhe im Karton!“ brüllen. Als ich damals diesen Artikel las, war ich im ersten Moment auch beschämt und berührt. Aber dann war ich so wütend. Weil dieser Artikel nur eine weitere Zutat im Mach-uns-Müttern-ein-schlechtes-Gewissen-Cocktail ist. Wir sind nun mal Menschen. Und als solche reagieren wir auch. Wir sind keine Kunstfiguren, wir sind nicht Marry Poppins oder Doris Day. Ich kann zu 90% Spass haben und geduldig sein, ich habe immer irgendwelche bekloppten Ideen, um das weinende Quengel-Kind abzulenken oder um aus Pflicht-Aktionen lustige Aktionen werden zu lassen. Ich bin eine super Kinder-Bespaßungs-Maschine. Aber es gibt sie eben auch, diese Momente, wo ich mich wie ein ausgesaugter Zombie fühle, da bin ich leer, da ist keine Energie mehr da, und dann kann und will ich nicht zehn mal das selbe sagen oder mir irgendeinen Heiopei ausdenken, nur damit das Kind endlich sowas Banales wie Zähne putzen erledigt. Ich bin doch keine Platte mit Sprung. Und dann wird aus Spaß-Mama eben auch mal Hystero-Mama. Wenn ich rumschreie, tut mir das auch immer wahnsinnig leid, und ich könnte heulen, und ich kann mich auch selbst nicht leiden, wenn ich so bin. Und auch mein Kleiner ist dann sehr erschrocken. Aber ich denke, wir beide müssen da durch, wir beide müssen lernen, dass eben nicht immer alles Ponyhof ist, dass nicht immer jede Aktion von einem lustigen Clown-Theater begleitet werden kann, dass es eben auch Frust gibt. Und dass wir diesen Frust auch einfach mal aushalten müssen. Da muss Baby durch. Und Mama auch. Und genau das sollte doch vermittelt werden, und nicht, „Schrei dein Kind nie an, du Rabenmutter.“


Genauso übrigens der Artikel mit der schönen Überschrift: „Der Tag an dem ich aufhörte, `Beeil dich!´ zu meinem Kind zu sagen“. Er bläst ins selbe Horn. Die gute Frau hat viel Applaus dafür bekommen. Aber dieses inszenierte Bild der geduldigen Engels-Mutter finde ich eigentlich nur zum Kotzen. Weil es uns Mütter noch mehr unter Druck setzt, perfekt zu sein. Bei jedem Mal, wo wir im Alltag „Los komm schon!“ zu unserem Sprößling sagen, durchzuckt es uns. Nein, das darfst du nicht, du bist eine schlechte Mutter!


Zumal uns unsere Emotionen sowieso, was das angeht, einen Strich durch die Rechnung machen. Wenn alles prima ist, können wir uns die edelmütigsten Dinge vornehmen. Mit dem Partner besonnen argumentieren, wenn wir streiten. Mit dem Kind geduldig sein. Aber wenn die Ausflipp-Momente da sind, da ist dieser Ärger und diese Wut in uns dermaßen „overwhelming“, mir fällt dazu gerade kein deutsches Wort ein, dass wir gar nicht klug reagieren können. Ich wusste es schon immer: Wir sind Opfer unserer Kampf-Hormone.


Wir alle glauben, die einzig wahre Wahrheit in Sachen Kindererziehung (oder Essen, Job, Leben, die Suche nach Glück, Partnerschaft, Sex etc) gepachtet zu haben. Und wir müssen das ständig kund tun. Bei Amazon bewerten wir Bücher, Filme, Micky-Kostüme und Kabelbinder. Wir bewerten alles, was uns in den Weg kommt, vergeben 0 bis 5 Sterne.



"Ich habe jedenfalls noch nie irgendwas gelesen darüber, wie toll wir alles machen und schaffen. Immer kriegen wir nur eins auf den Deckel."


Und auch wir Eltern, und vor allem wir Mütter, werden ständig und immer und überall bewertet. Kein Wunder, dass man da Paras kriegt. Denn überall liest man nur, was wir schon wieder alles falsch machen. Ich habe jedenfalls noch nie irgendwas gelesen darüber, wie toll wir alles machen und schaffen. Immer kriegen wir nur eins auf den Deckel.


Deshalb wünsche ich mir nur eins: Lasst uns doch bitte einfach unser Ding machen und unser Kind schaukeln. Auf unsere ganz eigene Art und Weise. Wir haben echt genug Gedöns damit, unser Leben auf die Kette zu kriegen. Aber bitte gebt uns nicht immer das Gefühl, dass wir zu blöde sind, unsere Kinder zu erziehen.


Ja, die alte Generation hat schon immer auf die neue Generation argwöhnisch geschaut, und die neuen Kinder wurden schon immer viel mehr verhätschelt als die Kinder davor. Aber ist nicht aus allen irgendwie doch was halbwegs Gescheites geworden? Eben.


Lasst uns einfach Eltern sein. Lasst uns einfach Mutter sein. Lasst uns einfach in Ruhe. Danke.



Wir kriegen das Kind schon geschaukelt
 
 
 

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