Sofort und gleich und jetzt
- henriettefraedrich
- 25. Feb. 2015
- 4 Min. Lesezeit
Mein Kopf ist immer voll mit Ideen und Gedanken, ich fühle mich wie ein Gedanken-Springbrunnen. Sprudel, Sprudel, Sprudel. Ich komme gar nicht hinterher, meine Gedanken festzuhalten. Manchmal bin ich zu faul, sie aufzuschreiben. Dann sind sie weg. Und ich ärgere mich. Denn wer weiß, was man daraus noch zimmern könnte. Ich öffne die Notiz-App in meinem iPhone und tackere drauf los. Eigentlich bräuchte ich so eine schicke Papier-Kladde und einen schönen Stift, um all meine Gedanken und Idee ganz klassisch handschriftlich zu notieren. Aber das taugt in der Praxis einfach nichts. Das Handy habe ich immer dabei, Stift und Papier nicht. Eigentlich ziemlich unromantisch, das Bild eines Schriftstellers aus der Zukunft, wie er da in einem Starbucks sitzt und auf seinem Tablet rumdaddelt. Verlernen wir eigentlich, zu schreiben? Also so mit Füllfederhalter und Tinte auf Papier, mit der Hand?
Man jammert ja allzu gerne darüber, was verloren geht, wenn sich die Welt weiter dreht. Wir wollen einerseits Fortschritt, immer Neues, schneller, höher, weiter. Andererseits beklagen wir die daraus resultierenden Verluste, die eigentlich logisch sind. Die Natur mit ihrem Kreislauf des Lebens macht es vor. Da wird ein Baby geboren und dort stirbt ein Greis. Altes muss neuem Platz machen. Dinge werden nutzlos und sind überholt, wenn es neue, bessere Dinge gibt. Da ist Tradition, da ist Fortschritt. Klar ist nicht alles automatisch besser, nur weil es neu ist. Und genau das ist ja die Krux.
Was soll man bewahren, was kann man getrost begraben? Jammert heute noch irgendwer Dampflokomotiven hinterher? Oder Kassetten? Aus einem Alltags-Gegenstand wird allenfalls Nostalgie und Wehmut. Nach den Kassetten kamen die CDs. Aber deren Lebensdauer war sehr kurz. Ich habe alle meine CDs verschenkt, weil ich nur noch digital Musik höre, meine ganze Musiksammlung als Dateien auf meinem Handy. Wenn ich ein Lied im Radio höre, was ich mag, will ich es sofort haben. Dann höre ich online in das Album rein. Stelle fest, dass mir wirklich nur dieses eine Lied gefällt. Und dann downloade ich es, natürlich für ein paar Cent.
Man will heute alles haben, sofort und gleich.
Man will heute alles haben, sofort und gleich. Und das ist einerseits toll, klar. Andererseits verlernen wir die Geduld. Die sollten wir vielleicht bewahren. Denn war es nicht früher das Warten auf etwas, das die Magie von etwas ausgemacht hat?
Das Lied, das wir irgendwo mal gehört haben, das uns geflasht hat. Wie mühsam wir erst mal herausfinden mussten, wie das Lied überhaupt heißt und von welcher Band es ist. Man ging in den Plattenladen, musste dafür also auch Zeit aufwenden. Dann sang man dem Verkäufer das Lied vor, beziehungsweise summte Bruchstücke und Fragmente. Man schaute in ahnungslose Gesichter. Aber der Verkäufer im Plattenladen, der damals noch echter Musik-Freak war, dessen Ehrgeiz war gepackt. Und er suchte und überlegte, er spielte zig Platten an, alles nein. Und dann die zündende Idee, vielleicht könnte es auch das hier sein, und er kramt eine weitere Platte raus. Und im ersten Lied erkennt man die Stimme, die die Stimme aus dem gesuchten Lied sein könnte. Und tatsächlich, das zweite Lied, es ist genau das Lied, das man seit Wochen sucht. Jubel, juchu, was für ein Glücksgefühl im Bauch! Natürlich kauft man die ganze Platte. Und man kann es kaum erwarten, bis man die Platte endlich zu Hause auspacken und auflegen kann. Und anfänglich mag man die anderen Lieder nicht so. Aber mit der Zeit entdeckt man sie doch für sich, und es kristallisieren sich noch zwei oder drei weitere Lieblingsstücke heraus, die man erst nach dem zehnten Hören für sich entdeckt. Eine Chance, die wir heute mit unserem selektiven Musik-Konsum verschenken, weil wir nur die Stücke kaufen, die uns auf den ersten Blick gefallen. Wir geben dem zweiten Blick gar keine Chance mehr.
Die Musik hatte damals noch diese Magie. Und heute? Schaut man online, welches Lied gerade im Radio läuft. Oder singt einer Songerkennungs-App drei Takte vor, und die spuckt dann aus, was es ist. Ja, das ist praktisch. Aber nicht mehr magisch.
Das gilt nicht nur für Musik. Kinder, die sich nicht mehr zwei Jahre lang ihre Carrera-Bahn oder die Schmetterlings-Barbie wünschen müssen, und es sie vor Sehnsucht danach fast auffrisst und die so unendlich glücklich sind, wenn der Weihnachtsmann die Bahn endlich bringt oder die Barbie endlich auf dem Geburtstagstisch steht. Denn heute bekommt man alles für 9,90 bei Amazon, made in Bangladesh, in der Werbepause auf dem Smartphone bestellt, mit Prime schon morgen geliefert. Und dann bekommt das Kind zwischen Tür und Angel mal eben so seinen Wunsch erfüllt, und wir denken uns irgendeinen Anlass dazu aus (Schnuller-Fee, Windelfrei, ´ne 3 in Mathe).
Immer alles sofort bekommen können ist irgendwie Scheiße. Wünsche haben so auch nie die Chance, sich zu entwickeln. Sich länger etwas wünschen zu müssen, bedeutet ja auch, zu prüfen, ob man etwas wirklich will. Wenn so ein Wunsch nach Monaten immer noch da ist, dann hat er damit auch sein Recht verdient, erfüllt zu werden. Der Wunsch wird immer größer. Und was macht mehr Spaß und bereitet mehr Freude als einen richtig großen und sehnlichen Wunsch zu erfüllen? Und manche Wünsche verflüchtigen sich ja auch. Man stellt fest, dass man das Wunsch-Ding eigentlich doch gar nicht braucht und will. Und dann sind wir froh, dass dieser Wunsch nicht erfüllt wurde. Wir sollten uns alle viel mehr Zeit mit dem Wünschen lassen. Oder um es anders auszudrücken: Wünsche, die immer gleich sofort erfüllt werden, sind wie vorzeitiger Samenerguss.
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