DIE MAGIE HELL ERLEUCHTETER FENSTER
- henriettefraedrich
- 14. Apr. 2014
- 5 Min. Lesezeit
Ich habe das große Glück, über den Dächern Kölns wohnen, oder doch, ja, residieren, zu dürfen. Dachgeschosswohnung, ganz oben, der Blick schweift beim Frühstücken jeden Tag über den Himmel Kölns, ich sehe Dächer, Schornsteine, Baukräne, Balkone, Dachterrassen, den Dom (und alle Kölner so: yeah!), den Fernsehturm. Hier oben fühle ich mich oft wie in einem Wolkennest. Mittendrin im Stadt-Trubel, aber doch genügend Abstand, um die Dinge unter sich von oben beobachten zu können. Da fühlt man sich manchmal ganz erhaben. Wie die Prinzessin in ihrem Turmzimmerchen. Sich die Welt von oben anzugucken übt doch irgendwie immer eine enorme Faszination auf uns aus.
Tagsüber ist eher das interessant, was über den Dächern so stattfindet. Ist es hell, sind die Fenster in den Häuserfronten dunkel und man kann höchstens erahnen, was dahinter statt finden mag. Aber abends, wenn es dunkel ist und die Lichter in den Wohnungen brennen, da ist Showtime angesagt! Da leuchten die Fenster in den Häusern um mich herum, und ich gebe zu, ich kann nicht anders, als in die fremden Buden um mich herum rein zu lunsen. Ich weiß, das macht man nicht. Aber es ist zu verlockend, das abendliche Leben fremder Menschen für eine Weile zu beobachten, und sich so seine Gedanken über das Leben der anderen zu machen.
Abends, wenn es dunkel ist und die Lichter in den Wohnungen brennen, da ist Showtime angesagt!
Rechts schräg gegenüber, 4. Stock: Das Bett steht direkt unter dem Fenster. Neulich lag da abends ein Mann und schlief. Als ich eine halbe Stunde später wieder aus dem Fenster schaute, lag der Mann immer noch genauso da und schlief. Er war völlig regungslos! Oh Gott, der ist tot! Ich versuchte, Details zu erkennen. Aber vermutlich war es mein schlaues Hirn, das sich täuschen ließ und die Umrisse eines Klamottenbergs zu einem reglos schlafenden Mann bzw. einer Leiche machte. Am nächsten Morgen war der Mann, die Leiche, der Klamottenhaufen weg. Überhaupt ist dieser Raum abends immer hell erleuchtet.
Direkt gegenüber, 4. Stock: Ein junger Mann hängt fast jeden Abend vor der Couch und glotzt TV. Neulich hat er ein paar Liegestütze gemacht. Ich musste schmunzeln.
Liebe Bambus-Rollo-Besitzer, checkt das mal.
Direkt gegenüber, 3. Stock: 4 junge Menschen um den Küchentisch, rauchen, trinken, quatschen. Ähm, und ich sollte erwähnen, dass sie diese berühmten Ikea-Bambus-Rollos am Fenster hatten. Runtergelassen, wohlgemerkt. Und ich habe trotzdem alles gesehen! Ich fordere Ikea hiermit zu einer groß angelegten Rückholaktion auf. Denn: Die Bambus-Rollos, die 99% aller Käufer mit Sicherheit aus Sichtschutzgründen an ihre Fenster anbringen, sind, wenn das Zimmer hell erleuchtet ist, durchsichtig! Man kann volle Pulle reinschauen. Als wäre das Bambus-Gedöns zarter Seiden-Organza. Liebe Bambus-Rollo-Besitzer, checkt das mal. Nur so als Tip, wenn ihr weiterhin eure 50-Shades-of-Grey-Spielchen (oder was auch immer) ohne Zuschauer spielen wollt.
Direkt gegenüber, linke Hand, 4. Stock: Hier konnte ich über mehrere Tage hinweg beobachten, wie ein Pärchen eingezogen ist. Ich hätte das mal im Zeitraffer filmen sollen. Leere Bude, Kistenchaos, Regale, Betten, Tische aufbauen, und jetzt alles schön eingerichtet. Einweihungsparty mit Freunden inklusive. Neulich sah ich, wie auf dem großen Tisch im Wohnzimmer stapelweise Fotos ausgebreitet waren. Die Nachbarn bastelten an einem echten Foto-Album. Mit einkleben und so. Wie nostalgisch! Wie schön! Mir fiel dabei ein, dass meine Fotos nur noch lieblos in digitalen Ordnern auf meinem Rechner oder irgendwelchen Festplatten rumdümpeln. Ich sollte mal wieder. Kleben. Und so. Und einmal, da tanzte dieses Pärchen eng umschlumgen durch seine Wohnung. Ich hätte zu gern gewusst, was der Anlass für diese kleine Nachtromantik war.
Die Leben um mich herum, wie eine Kulisse. Meine kleine Puppenstube. Nur, dass die Puppen selber spielen. Und gar nicht wissen, dass sie Zuschauer haben. Ist es schlimm, wenn ich so viel mitbekomme von anderen, fremden, Leuten um mich herum? Ich nehme teil an ihrem Leben, ohne dass sie davon wissen. Jeden Abend schaue ich in die mir bekannten Fenster rein und gucke mal kurz, was da drüben, auf der anderen Straßenseite in den anderen Wohnungen, in den anderen Leben, so los ist. Die Leben sind mir völlig fremd. Die Leute sind mir völlig fremd. Trotzdem sind mir die Schemen dieser Menschen vertraut. Der junge Mann von der Couch vorm TV, ich mache mir schon fast Sorgen, wenn er mal abends nicht davor sitzt. Oder wenn bei "meinem Pärchen" von gegenüber mal lange kein Licht angeht.
Der junge Mann von der Couch vorm TV, ich mache mir schon fast Sorgen, wenn er mal abends nicht davor sitzt.
Der Witz ist ja, dass wir uns in unseren Wohnungen so sicher fühlen. Geschützt vor Blicken, geschützt vor der Außenwelt. Hier ist unsere kleine Welt. Trotzdem scheinen wir in unserer Gemütlichkeits-Trance oft völlig zu vergessen, dass die Welt da draußen sehr wohl mitbekommt, was hier so läuft. Ich kann z.B. einen ganzen Häuserblock weit gucken und in etlichen Metern Luftlinie auf der anderen Seite in die hell erleuchteten Fenster schauen. Da sitzt z.B. immer einer ganze Nächte an seinem Schreibtisch vor einer riesigen, breiten Fensterfront. Ohne Gardinen, ohne Jalousien. Und ich frage mich schon die ganze Zeit: Was macht der (oder die?) da jede Nacht?
Dritter Stock, rechts gegenüber: Ein Mann sitzt nackt auf der Bettkante in seinem Schlafzimmer, die Kehrseite mir zugewandt. Ich kann seinen breiten, haarigen Rücken sehen, und sein Brötchen (= Po-Ansatz). Er beugt sich nach vorne und schneidet sich offensichtlich die Fußnägel. Ich überlege, ein großes Schild ins Fenster zu halten mit den Worten "Hallo, du da, ich kann dein Brötchen sehen!". Oder sollte ich im Haus gegenüber mal Zettel in die Briefkästen werfen, so mit "Hallo Guten Tag, hier ist Ihr persönlicher Spanner. Ich wollte Ihnen nur mitteilen, dass ich Sie beobachten kann. Wenn Sie das nicht wollen, kaufen Sie sich schwarze, schwere Samt-Vorhänge. Ihre HF. P.S. Die Bambus-Rollos sind NICHT blickdicht."
Wenn ich auf die andere Seite unserer Wohnung gehe und die andere Straßenfront in visuellen Beschlag nehme, sehe ich Dinge, wo ich ganz rot werde. Ein Pärchen bestehend aus 2 Männern, liebt es, nackt durch die Butze zu laufen. Und den Butzemann auf dem Präsentierteller. Dingeldingeldong. Und wie die zwei genrespezifische Pornos geguckt haben, auf dem riesigen Flatscreen, der genau so an der Wand angebracht ist, dass ich voll drauf glotzen kann, habe ich auch schon gesehen. Kreisch, lach, kicher, prust. Und der Running-Gag schlechthin, wenn wir Besuch haben. "Und da drüben, das sind zwei Schwulis, die gucken immer Pornos! Und laufen den ganzen Tag nackt rum!". Kreisch, lach, kicher, prust.
Wahrscheinlich stehe ich genauso auf dem Präsentierteller. Wer mir dabei zusieht, wie ich bei VH1-Videos aus den 80er "abhotte", wie ich 300 Situps mache, wie ich auch mal nackig durch die Bude flitze, will ich lieber gar nicht wissen. Trotzdem: Ich wünsche demjenigen unbekannterweise viel Spaß und gute Unterhaltung. Und ja, wenn hier länger kein Licht brennt, dann darf derjenige sich gerne Sorgen machen.
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