KLEINE ENZYKLOPAEDIE DER FACEBOOK-MOTZER
- henriettefraedrich
- 5. Jan. 2014
- 4 Min. Lesezeit
Schon oft hat man den zynischen Kommentar gehört oder gelesen, soziale Netzwerke seien eigentlich viel mehr asozial denn sozial. Und ja, das stimmt. Irgendwie.
Mag ja sein, dass wir uns alle zumindest in den Timelines unserer "Freunde" halbwegs benehmen, und hier immer schön brav liken und "tolles Foto, Süße" flöten und säuseln (obwohl wir´s insgeheim vielleicht lächerlich finden), aber wir würden kaum auf die Idee kommen, ständig gegen die Posts und Ansichten unserer Freunde zu stänkern und zu pöbeln.
Doch genau das geschieht regelmäßig bei Posts von Facebook-Fanseiten von Unternehmen, Medieninstitutionen (Zeitungen, Zeitschrifen, TV-Sender), Promis etc. Kaum wird eine News veröffentlicht, trampelt die Masse los. Wie die 80 Millionen heimlichen Bundestrainer, die ihren Lieblingsfußballverein schon längst zum Triple trainiert hätten, und alles besser wissen als Jogi, Pep und Co., wettern wir gegen Inhalte, Macher der Inhalte, Herausgeber der Inhalte und mit viel Genuss und Vorliebe auch gegen die vielen anderen Kommentatoren, die ja mal sowas von keine Ahnung haben. Wir mutieren mehr und mehr zu Internet-Gollums und Online-Grinchen. Und das hat nichts mehr mit gepflegtem Meinungs-Austausch zu tun. Es herrscht Krieg. Ausgefochten mit klappernder Tastatur und ´nem WLan als Trägerrakete.
Wir haben keinerlei Anstand mehr, und uns ist es nicht zu blöde, jeden Fliegenschiss im Netz zu kommentieren. Uns Deutschen eilt der Ruf eines Kultur-Volkes voraus, dabei sind wir nur noch eins: Obermotzer. Ob das ein nationales oder auch ein internationales Phänomen ist, werde ich noch erforschen.
Wir mutieren mehr und mehr zu Internet-Gollums und Online-Grinchen.
Nach meinen bisherigen Feldforschungen konnte ich bisher folgende Kommentar-Typen kategorisieren:
Der Gegen-Andere-Kommentatoren-Pöbler: Er gibt selten Statements oder überlegte Kommentare zum eigentlichen Inhalt des Posts. Sondern er stänkert hauptsächlich gegen das, was andere bisher kommentiert haben. Das sieht dann zum Beispiel so aus: "Liebe Franziska, sorry, aber du hast 0 Ahnung. So einen Schwachsinn, den du da geschrieben hast, habe ich ja noch nie gelesen." Folge: virtueller Kleinkrieg unter Leuten, die sich im echten Leben noch nicht mal kennen, es aber schaffen, ihren Puls gegenseitig auf 180 hochzupushen.
Der Quellen-Besserwisser (QB): Er zweifelt an, ob das gepostete Zitat (Inhalt völlig egal) wirklich von Hugo Huller ist, und nicht doch von Helga Hansen. Er belegt es mit einem ca. 783stelligen Link zu einem Antiquariat aus Bad Berleburg, wo man das einzig verfügbare Exemplar des Werkes von Helga Hansen noch auf Lager hat. Damit möchte der Quellen-Besserwisser vor allem eins erreichen: Ehrfurcht ob seines unglaublichen Wissens. Bedankt man sich als Seitenbetreiber nicht brav und artig für diesen Fehler und küßt dem QB virtuell die Füße (wie konnten wir auch nur so doof sein! Danke, dass du uns auf unseren fahrigen Umgang mit Quellenangaben aufmerksam gemach hast!), ist er schnell beleidigt.
Der "Ich-klicke-jetzt-`Gefällt mir nicht mehr!´-Beleidigte": Wurde etwas geposted, was diesem Typ Facebook-Nutzer gegen den Strich geht, zieht er sofort seine Konsequenzen und disliked die Seite. Natürlich nicht ohne vorher den Post zu kommentieren mit "Also dass ihr hier sowas veröffentlicht, das geht gar nicht. Ich habe die Seite ent-liked. Auf Nimmer-Wieder-Sehen."
Der Rechtschreibungs-und-Grammatik-Besserwisser: Ähnliche Symptomatik wie beim QB, siehe oben. Nur auf kleine Fehlerteufel konzentriert, die Inhalte der Posts sind ihm meistens egal. Will die Welt zu einem korrekten Umgang mit der Sprache umerziehen. Dass kleine Fehler mal hier und da passieren, und dass vielleicht der Inhalt vor dem korrekten Geschreibsel steht, kann er nicht akzeptieren. Er sieht nur Fehler, und die müssen weg.
Der "Die-Qualität-hat-hier-aber-rapide-Nachgelassen-Nörgler": Dieser kleine Miespeter postet gerne solche Kommentare wie "Also ich muss sagen, ich bin schon lange Fan eurer Seite, aber in letzter Zeit hat die Qualität der Posts hier deutlich nachgelassen.". Fragt man diese Spezies dann nach einem konkreten Beispiel, oder was er genau meine, erfolgt meistens keine Antwort. Wahrscheinlich sagt diese Spezies auch sonst immer "Früher war alles besser".
Der Ausrufezeichen-en-Masse-Kommentierer: Nett ausgedrückt, geht diese Spezies sehr verschwenderisch mit Ausrufezeichen um. "Also das finde ich gar nicht!!!!!" oder "Viva Colonia!!!!!" oder "Boris Becker ist Kacke!!!!!". Die Ausrufe-Zeichen-Taste auf der Tastatur ist sicher schon verstärkt. Ob diese Menschen im echten Leben auch immer schreien, wenn sie was zu sagen haben?
Der Gutmensch: Er versucht, zu schlichten, wenn es Kommentar-Streit gibt. "Kinder, jetzt regt euch doch nicht auf." Aber das kommt meistens so anbiedernd daher, dass man auch diesem vermeintlich netten Menschen am liebsten zubrüllen möchte: "Halt die Schnauze, du Depp!".
Der Anti-Kapitalist: Er wittert hinter jedem Post Geschäftemacherei. Er fühlt sich ausgenutzt und verkackeiert. Warum er den entsprechenden Seiten dann folgt, bleibt ein Rätsel. Aktuelles Beispiel: Das Süddeutsche Magazin hat einen Artikel geposted, in dem es um die Schwierigkeiten ging, seinen Facebook-Account zu löschen. Kommentar vom Anti-Kapitalist: "Ihr lasst einen ja auch nicht einfach gehen, wenn man euer Abo kündigt und ruft noch mal an!!!!".
Der "Ich-erwarte-dass-hier-nur-das-geposted-wird-was-meiner-Meinung-entspricht-sonst-bin-ich-wirklich-enttäuscht-Typ": Postet man einen Artikel oder Text, der nicht seiner Meinung entspricht, folgt gern solch ein Kommentar: "Also ich hätte euch wirklich mehr zugetraut. Dass ihr das hier auch noch propagiert, ist echt unter aller Sau. Ich bin absolut enttäuscht von euch." Kurzer Exkurs: Meistens haben beliebte Seiten mehrere hundert, tausend oder gar hundertausend "Fans". Jeder Mensch mit ein bißchen Verstand weiß, dass nicht alles jedem immer gefallen kann. Und wenn mal was geposted wird, was nicht der eigenen Meinung entpricht, ignoriert man das einfach oder man gibt vielleicht einen kritischen Kommentar in der Sache ab. Aber bezweifelt nicht gleich die Kompetenz des Inhalte-Lieferanten und zieht beleidigt ab. Eigentlich. Interessantes Weltbild auch: Die Welt hat so zu ticken wie ich. Exkurs Ende.
Der Coole: Er steht über den Dingen, und bringt das auch gern zum Ausdruck. "Also dass ihr euch alle hier so echauffiert, verstehe ich nicht. Das ist doch echt albern.". Würde er wirklich drüber stehen, würde er es gar nicht erst kommentieren.
Der Einfach-mal-so-Motzer: Er motzt und rotzt die Timeline einfach mal so voll. "Boah, ist das schlecht."

Und ich frage mich: Würden wir auch so offenkundig und selbstgefällig rummotzen und klugscheißen, wären wir im echten Leben unter echten Menschen? Hier halten wir doch uns doch meistens mit unserer Meinung äußerst vornehm zurück. Warum machen wir das dann im Internet? Haben wir ein unterdrücktes Motz-Gen, was sich so sein Ventil sucht? Ist es so, weil es so einfach ist? Wir würden ja schließlich auch nicht auf die Idee kommen, bei der Zeitung (oder wer auch immer Auslöser für unsere Attacke war) anzurufen und das, was wir bei Facebook posten, direkt beim Redakteur persönlich durchzugeben.
Da fällt mir doch glatt ein neuer Trend ein: Wie wäre es mit einem Fight Club für Facebook-Pöbler?
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