ICH MÖCHTE WIEDER KINDERGEBURTSTAG HABEN
- henriettefraedrich
- 28. Okt. 2013
- 5 Min. Lesezeit
Ich habe heute Geburtstag. Und ich bin traurig. Ich habe den Geburtstags-Blues. Und nicht die Tatsache, dass ich Ende Oktober Geburtstag habe, wo die Wetterlage per se schon immer automatisch für leicht depressiv angehauchte Stimmung sorgt, ist daran Schuld. Ich bin traurig, weil dieses wunderbare Kindergeburtstags-Gefühl weg ist. Seit vielen Jahren schon. Um nicht zu sagen, seit Jahrzehnten - denn ja, in meinem Alter kann man schon mal langsam anfangen, in Jahrzehnten-Schritten auf sein Leben zurück zu blicken.
Es ist nicht das Altern oder die Angst davor, die mich so komisch traurig einlullt heute. Das ist nun mal so, und von irgendwelchen Jahreszahlen lasse ich mich auch nicht einschüchtern. Aber ich trauere um dieses Glücks-Gefühl, das einfach nicht mehr da ist. Es ist weg. Wann ist es abhanden gekommen? Und warum? Wo ist diese kindliche Geburtstagsfreude hin? Warum versinkt so ein Geburtstag früher oder später in der Bedeutungslosigkeit?
Wo ist diese kindliche Geburtstagsfreude hin?
Als Kind zählte ich schon Wochen vorher, wie viele Nächte ich noch schlafen musste, bis endlich DER große Tag da war. Und es kam mir unendlich lang vor. Drei bis vier Tage davor fing es schon mächtig an, im Bauch zu kribbeln, was in einer völlig schlaflosen Nacht vor dem Geburtstag seinen Kribbel-Höhepunkt fand. Und als dann Mama endlich die Tür aufmachte, und das Geburtstagskind endlich raus durfte, platzte ich schon vor Glück. Heute habe ich Geburtstag! Heute ist mein Tag! Noch im Schlafanzug tippelte ich zu meinem Geburtstagstisch, den meine Mama immer liebevoll vorbereitet hatte, mit Geschenken, Kerzen, Blumen, Kuchen, bunten Glückwunschkarten. Das Zimmer war dunkel, nur die Kerzen leuchteten, und genauso meine Augen. Ein unbeschreibliches Glücksgefühl in meinem Bauch. Langsam packte ich die Geschenke aus, ich wollte die Überraschung so lange wie möglich heraus zögern. Ich genoss es, und ich war ganz andächtig. Und ich freute mich fast immer über alles, was ich bekam.
Es waren nicht nur die Geschenke, um die es mir ging. Klar, als Kind ist man schon "geschenkegeil" - aber die ganze Atmosphäre an diesem Tag war immer so besonders, der ganze Tag roch irgendwie nach Kerzen und Schokoladenkuchen. Oma und Opa kamen zu Besuch, im Kindergarten durfte man Gummibärchen verteilen und bekam eine Papierkrone auf, alle Kinder sangen "Hoch soll se leben, hoch soll se leben, drei mal hoch!" und man wurde im Stuhl sitzend hochkatapultiert. Man wurde gefeiert und geherzt, von morgens bis abends. Princess for a day. Später dann die berüchtigten Kindergeburtstage, die die Eltern zwar in den Wahnsinn, uns Kinder aber in die Glückseligkeit trieben. Wir schwebten an diesem Tag auf unserer konfettibunten Geburtstagswolke.
Ich will mit Freunden Topfschlagen spielen und Sackhüpfen!
Verdammt noch mal, ich will genau das wieder haben! Ich will vor kitzeliger Aufregung nicht schlafen können die Nacht davor. Ich will ´ne Krone. Ich will ´ne Holz-Eisenbahn mit bunten Kerzen oben drauf, ich will Smarties-Schokoladen-Kuchen, ich will Luftballons, ich will mit Freunden Topfschlagen spielen und Sackhüpfen und mit dicken Handschuhen und Mütze und Schal um die Wette Schokolade futtern. Ich will ´ne Kuchenschlacht und Würstchen und Pommes und Chips in mich reinstopfen, bis mir schlecht ist, und dabei vor lauter Lachen über die albernen Witze der anderen mir den Bauch halten müssen. Ich will am Abend mit schokoverschmiertem Gesicht, völlig erschöpft und überhitzt mit roten Glühbäckchen todmüde und unendlich glücklich in mein Bettchen fallen. Und mich dann unbändig auf den nächsten Geburtstag freuen. Ich will mein Geburtstagsgefühl zurück.
Es ist nicht so, dass ich alleine da stehe. Gar nicht. Meine Lieben denken an mich, rufen an, schreiben Karten, SMS und Mails, und ich werde reich beschenkt. Trotzdem: Ich horche in meinem Bauch, aber da ist: Nichts. "Hallo, ich habe heute Geburtstag, los, freu dich!", ermahne ich mich selbst.
Statt dessen ertappe ich die Melancholie, die sich doch ihren Weg in meinen Bauch bahnt. Wenn man erwachsen ist, fühlt sich Geburtstag auch immer ein bißchen wie Sylvester an. Wieder ein Jahr rum. Wieder ein Jahr, wo du nicht das geschafft hast, was du schaffen und erreichen wolltest, wieder ein Jahr, wo du fetter geworden bist. Abrechnung. Bist du so alt wie du dich fühlst? Bist du da, wo du immer dachtest, dass du sein willst, wenn du mal "so alt" bist? Und wenn nicht? Versagt?
Man verdrängt es, indem man so tut, als wäre der Geburtstag einem nicht so wichtig. "Och, ist doch völlig egal," sagt man dann und geht ganz normal arbeiten und seinem Alltag nach. Niemand setzt einem eine Krone auf und lässt einen im Stuhl drei mal hoch leben. Statt dessen im Briefkasten Geburtstagspost vom Steuerberater, vom Friseur, Geburtstagsrabatt von Otto, ganze 5% und auch die Versandkosten umsonst, wow, und etliche automatisch versandte Glückwunsch-Emails von Firmen, wo ich irgendwo mal was bestellt habe und mein Geburtsdatum angeben musste. Da gratuliert mir eine Werkzeug-Firma, ein Baumarkt, etliche Online-Shops, mein Hundefutter-Versandhaus. Alles datenbankgeneriert. Die ganze Online-Welt scheint um mein Birthday-Feeling bemüht zu sein. Da soll noch mal einer sagen, niemand würde mich hochleben lassen heute. Tröt. Geburtstag 3.0.
Doch wann ist dieses unschuldige Geburtstagsgefühl abhanden gekommen? War es als Teenager, als es in erster Linie darum ging, ´ne coole Party zu schmeißen? (Und wehe es wurde keine coole Party. Wehe, es fehlten die angekündigten coolen Leute. Wehe, die Eltern waren mit da. Wehe, es war langweilig.)
Ist es der Alltag? Oder ist Geburtstag wirklich irgendwann irrelevant? Weil man nun in dem Alter ist, wo Gesundheit in der Tat das wichtigste ist, wo die meisten Träume ausgeträumt sind und man sich Wünsche größtenteils jederzeit selbst erfüllen kann?
Ich weiß es doch auch nicht. Ich gehe jetzt erst mal raus und hole mir einen Smarties-Muffin. Ich werde mich freuen - los, freu dich! - und mir mein Lieblings-Geburtstagslied seit Kindertagen vorsummen. Welches, Ironie, total melancholisch ist, und genau zum draußen tobenden Oktober-Sturm und dem Geburtstagsblues passt. Es ist ein russischer Kinderliedklassiker, ich konnte es sogar auch mal auf russisch singen als ich klein war.
Und dann werde ich dankbar sein. Ich lebe, ich bin gesund. Ich bin glücklich und zufrieden und habe alles, was mein Herz begehrt. Ob mit Geburtstag oder ohne.
Vielleicht hat mein verlorenes Kindergeburtstagsgefühl nun mein kleiner Sohn. Seine Augen leuchteten heute jedenfalls, als er die Geschenke sah und er sagte freudestrahlend: "Ich auch Burtstag!". Ich werde ihn auf seine Geburtstage so heiß machen, dass er mit seiner Vorfreude gar nicht weiß wohin. Ich werde ihm die tollsten Kindergeburtstage schenken und nicht nölen, wie stressig das doch ist. Ich werde ihn mit Konfetti beschmeißen, sein Zimmer mit Luftballons vollhängen, ihm bunten Kuchen backen und ihm Kronen basteln. Auja. Das wird toll. Und schon regt sich Geburtstagsgefühl in meinem Bauch. Ach guck.
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