DER MANN IN MEINEM KOPF
- henriettefraedrich
- 3. Sept. 2013
- 3 Min. Lesezeit

Ich frage mich immer wieder, wie das funktioniert mit den Erinnerungen, die wir so haben und die urplötzlich, mir nichts dir nichts, auf unserer Gehirnleinwand aufploppen.
Vor ein paar Tagen saß ich ein bißchen rum, starrte aus dem Fenster, und wie aus heiterem Himmel erinnerte ich mich an einen Nachmittag, den ich als Teenager-Mädchen zu Hause mit meinen Freundinnen verbracht hatte. Ich lud mehrere Freundinnen ein, nach der Schule mit mir nach Hause zu kommen, wir machten uns gemeinsam etwas zu Essen, und dann alberten wir herum, so wie das 13 bis 14jährige Mädchen eben so tun. Wir tobten durch meine Wohnung (ich hatte sturmfrei, Mama und Papa waren arbeiten), sangen lauthals "Take-That"-Lieder (war damals DIE angesagte Band) tanzten dazu und kicherten, bis wir Bauchschmerzen hatten. Diese Erinnerung führte mich geradewegs zu einer weiteren Erinnerung aus dieser "Epoche", ich erinnerte mich an einen Nachmittag mit einer Freundin, die ich eigentlich total doof fand (warum wir Mädchen dann trotzdem befreundet sind, ist mir ein Rätsel), dennoch hatten wir Spaß. Wir setzten uns in Mamas Wäschekorb und schoben uns durch die Wohnung, setzten uns alberne Mützen auf und machten Fotos. Damals noch mit richtigem Fotoapparat, wo man den Film noch zum Entwickeln lassen wegbringen musste. Diese Erinnerung führte mich wiederum, wie bei einer Schnitzeljagd, zur nächsten Erinnerung, dass ich bei besagter Freundin einmal die Woche Klavier üben durfte. Ich nahm nämlich Klavierunterricht, meine Eltern wollten mir aber kein eigenes Klavier kaufen, und so übte ich bei der Freundin, die ein Klavier hatte und die schon Klavier spielen konnte. Meine Klavierlehrerin lutschte immer Karamellbonbons, und als ich daran dachte, hatte ich sofort diesen süßen Geruch in der Nase und ihre knochigen Hände vor Augen, wie sie behände übers Klavier hüpften.
Und so starrte ich die ganze Zeit aus dem Fenster und ließ mich immer weiter durch einen ganzen Film von plötzlich ablaufenden Erinnerungen führen. Ich hatte dabei so ein ganz komisches Gefühl im Bauch. Ich wusste, dass das alles meine Erinnerungen sind, und dass das alles genauso geschehen ist, wie ich es gerade vor meinem Auge sah, aber es war auch gleichzeitig so unwirklich. Mein Teenager-Ich kam mir so fremd vor. So viel ist in der Zwischenzeit passiert, so anders mein Leben jetzt. Und trotzdem war ich mal eine 13jährige Henriette, die übermütig Wasserbomben vom Balkon auf Passanten schmiss und im Bademantel mit Freundinnen auf dem Balkon sang. Komisch fühlt es sich auch an, gerade WEIL es so lange her ist. Plötzlich bin ich traurig und ergriffen, weil ich begreife, wieviel Zeit schon vergangen ist. Jedenfalls ist sich zu erinnern ein ulkiges und nicht greifbares Gefühl. Wie es wohl 80jährigen geht, die sich an ihre Jugend erinnern?
Wer oder was entscheidet, welche Erinnerungen aufploppen?
Sind Erinnerungen eigentlich Gedanken? Gedanken kann man steuern. Ich kann ganz bewusst denken "Och, heute is aber ´n Scheiß-Tag, alles ist doof!" und entsprechend schlechte Laune haben. Ich kann aber auch ganz bewusst denken "Okay, heute ist ein guter Tag!" und mir Mühe geben, keine schlechte Laune zu haben und zu verbreiten. Aber Erinnerungen ploppen einfach so auf. Die sind einfach da. Und ich frage mich: Wie geht das? Wieso ploppen Erinnerungen plötzlich auf, wieso sieht man plötzlich Situationen vor seinem inneren Auge abspielen, an die man Jahre nicht gedacht hat? Woran ist das gekoppelt? Was löst welche Erinnerungen aus? Wer oder was entscheidet, welche Erinnerungen aufploppen?
Wahrscheinlich ist das alles bloß Biochemie, irgendwelche Nervenzellen agieren mit irgendwelchen anderen Nervenzellen. Ganz unspektakulär und unromantisch.
Aber vielleicht sitzt da ja auch so ein kleines Männchen in meinem Hirn, wie in einem großen Erinnerungsarchiv, kramt jeden Tag in meinem Erlebnisarchiv, und legt, einfach nach Lust und Laune, die kleinen Erinnerungsfilmstreifen auf die Filmrolle und beamt sie an meine Hirnleinwand. Ja, so muss es wohl sein.
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