8 GRÜNDE WARUM DAS POSTEN VON KINDERFOTOS BEI FACEBOOK UND CO. HALB SO WILD IST
- henriettefraedrich
- 28. Juni 2013
- 8 Min. Lesezeit

Ein großer Coup ist dem Rechtsanwalt Tobias Schäfer gelungen, er verfasste einen Artikel, warum das Posten von Kinderfotos bei Facebook und Co. ganz doll schlimm ist. Und zwar so richtig schlimm. Mit erhobenem Zeigefinger warnt er vor dem Untergang des Abendlandes. Sein Beitrag wurde bis heute fast 68.000 mal geteilt, von 50.000 Menschen "geliked" und es gab zig Tausende Kommentare dazu. Im Social-Media-Universum ein echter Coup, ein Sechser im Lotto. Und es zeigt natürlich auch, dass es definitiv ein Thema ist. Und alles, worauf sich die Masse in den sozialen Netzwerken stürzt, trifft mit einigen Tagen Verspätung auch in den "etablierten" Redaktionen der großen Zeitungen ein und wird dann dort in Artikeln thematisiert. Dem Stern war es sogar einige Stunden den Startseitenaufmacher wert.
"Letztlich ist die Aussagekraft seiner These die gleiche wie bei "Eltern, gebt euren Kindern nicht so viele Süßigkeiten!"
Im Prinzip hat der Mann natürlich Recht: Leute, passt auf, was ihr online stellt. Besonders in Bezug auf Kinderfotos. Aber das sagt einem ja auch eigentlich der gesunde Menschenverstand, dass man vielleicht nicht unbedingt die Strandfotos der lieben Kleinen online stellt. Dafür brauche ich keinen Moral-Vortrag. Für mich ist das völlig normal und selbstverständlich, hier minimiert und wohl überlegt vorzugehen, meine Facebook-Freunde in Gruppen zu teilen und Kinderfotos eben nur mit bestimmten Leuten zu teilen, und längst nicht mit allen. Letztlich ist die Aussagekraft seiner These die gleiche wie bei "Eltern, gebt euren Kindern nicht so viele Süßigkeiten!". Wir alle wissen es, und jeder mit etwas Sachverstand achtet auch darauf.Umso mehr wundert mich nun das große Echo auf diesen Beitrag. Alle stürzen sich darauf, und alle sagen "ja, genau!", und alle verfluchen Facebook und das böse Internet. Es ist aber auch Teufelszeug! Wie gesagt, grundsätzlich stimme ich Herrn Schäfer zu, möchte diese moralinsaure Hoch-mit-dem-Zeigefinger-Debatte jedoch etwas differenzierter betrachten und 8 Gründe aufführen, warum wir uns nun wegen ein paar Kinderfotos bei Facebook nun wirklich nicht ins Hemd machen müssen.
ALLE MACHEN ES.
1. Es ist wie beim Doping bei der Tour de France. Alle machen es. Und so hat letztlich keiner einen wirklichen Vorteil. Weil alle mit den gleichen Mitteln kämpfen - ob nun erlaubt oder nicht, ist erst mal irrelevant. Es gleicht sich sozusagen aus. Genauso ist es mit den Kinderfotos. Alle machen es. Also ist es letztlich egal. Kein einziger sticht hervor. Je mehr Masse an Bildern im Netz ist, desto unbedeutender wird jedes einzelne. Wie ein einziger Tropfen im Meer verschwindet jedes einzelne Bild in der Bildermasse.
WER INTERESSIERT SICH BITTESCHÖN FÜR IHRE KINDERFOTOS?!
2. Mal ganz ehrlich: Wer interessiert sich bitteschön für Ihre Kinderfotos?! Alle denken ja immer, oh Gott, was alles im Netz über mich zu finden ist, Hilfe! Aber jetzt mal Butter bei die Fische: Wen, außer Sie selbst, interessiert das? Wenn Sie nicht gerade Pamela Andersen oder Britney Spears heißen, interessiert sich auf dieser Welt, mit Verlaub und Entschuldigung, niemand für Sie. Und schon gar nicht für Ihre Blagenfotos. Das ist die Wahrheit. Auch im Zeitalter des Internets. Wir alle schwirren mit unseren eigenen Gedanken immer um uns selbst herum. Und deshalb schwirrt jeder mit seinen Gedanken um sich selbst herum. Verstehen Sie, was ich meine? Sie (und deshalb auch Ihre Kinderfotos) sind für andere sowas von uninteressant. Dazu gibt es ein wunderbares Zitat aus dem Buch "Handwerk Humor" von John Vorhaus. Ganz am Anfang will er den angehenden Comedians und Comedy-Autoren die große Angst davor nehmen, vor Publikum aufzutreten - denn die größte Angst besteht darin, dass das Publikum einen nicht mag. Sprich, es geht um die Frage "Was denken die anderen bloß von mir?", eine Frage, die, leider, ziemlich viele Menschen beschäftigt und völlig lähmt. Es ist nämlich so, und hier zitiere ich John Vorhaus:"Wir verschaffen uns innerlich die grimmige Gewissheit, dass die anderen uns als Dummkopf, Hanswurst oder sonstwie minderwertigen Menschen betrachten werden. Warum ist das eine falsche Assoziation? Aus folgendem schlichten Grund: Die Menschen machen sich keine Gedanken über das Erscheinungsbild anderer. Sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich den Kopf über ihr EIGENES Erscheinungsbild zu zerbrechen. Jeder von uns ist der Mittelpunkt seines eigenen Universums, und unser jeweiliges Universum ist von verblüffend geringem Interesse für das Universum nebenan. Schwer beladen mit Ängsten tun wir so gut wie alles, um in den Augen der anderen bloß nicht schlecht auszusehen. Aber wie es im Koran heißt: Wenn man wüßte, wie wenig Gedanken sich die Leute über einen machen, würde man sich keine Gedanken darüber machen, was sie denken."Ich finde, das bringt es auf den Punkt und ist generell in fast allen Lebenslagen ein sehr auf-den-Boden-der-Tatsache-zurück-bringender Gedanke. Ganz einfach ausgedrückt: Wir sind uns alle gegenseitig sowas von egal. Ja, wir lästern mal hier und da, aber zerbrechen Sie sich wirklich so über andere Leute den Kopf, so wie Sie denken, dass es andere über Sie tun? Eben. Und genauso ist es mit den Kinderfotos. Warum, das lesen Sie im nächsten Punkt.
DIE MEISTEN "LIKEN" BEI KINDERFOTOS NUR AUS GEGENSEITIGKEIT, NICHT AUS WIRKLICHER BEGEISTERUNG HERAUS.
3. Wir alle sind eigentlich von den Kinderfotos der anderen nur genervt. Jeder interessiert sich nur für eins: Für seine EIGENEN Kinderfotos. Aber die der anderen, die sind mir doch eigentlich echt Wumpe. Heißt: Ihre persönlichen Kinderfotos sind für all die anderen 6 Milliarden Menschen da draußen völlig irrelevant. Letztlich können Sie damit machen was Sie wollen. Who cares? (Ja, es gibt Ausnahmen, gestörte Menschen und so, aber diese Ausnahmen, die es in jeder Debatte gibt, klammere ich aus.) Denn mal ganz ehrlich: Denken Sie wirklich großartig darüber nach, wenn Ihre Freunde Ihre Facebook-Timeline mit Kinderfotos zumüllen? Eben. Sie klicken vielleicht mal hier und da "gefällt mir", aber ansonsten juckt es Sie doch recht wenig oder aber sie sind genervt. Mehr aber auch nicht. Und jetzt noch mal ganz ehrlich: Die meisten clicken doch auch nur "gefällt mir", weil sie sich dazu verpflichtet fühlen, weil "die Bettina, die klickt doch bei meinen Fotos auch immer "gefällt mir", also muss ich bei ihren Blagen, obwohl ich die voll hässlich finde, halt auch mal liken." Klingt hart, aber ist doch so, oder?
NIEMAND MÜLLT SICH DIE FESTPLATTE MIT ANDERER LEUTE BLAGEN VOLL
4. Worin liegt die Bedrohung? Herr Schäfer führt in seinem Artikel ein völlig absurdes und an den Haaren herbei gezogenes Bedrohungsszenario auf. Man wüßte schließlich nicht, wer die Fotos alle sieht, und ob jemand diese nicht vielleicht sogar auf seinem Rechner abspeichert. Da musste ich laut lachen. Denn niemand, der ansatzweise normal tickt, müllt sich die Festplatte mit harmlosen Bildern der nervigen Blagen anderer Leute zu. Erstens sollte natürlich sich jeder darüber im Klaren sein, was er bei Facebook einstellt - und wenn es brisantes Material ist, Entschuldigung, dann stell´s halt nicht ins Netz. So einfach ist Tennis. Ansonsten: Selbst Schuld.Zweitens frage ich mich, selbst WENN jemand meine Fotos abspeichert, die ich freiwillig ins Netz gestellt habe und die sicher nichts peinliches enthalten, weil wir uns und unsere Familien ja in den Sozialen Netzwerken sowieso nur von unserer Schokoladenseite präsentieren, was soll er damit bitteschön anfangen? Wo liegt hier die Bedrohung?
Man male sich das erschreckende Bedrohungsszenario mal bildlich aus: Der böse Peter speichert heimlich alle Kinderfotos seiner Facebook-Freunde auf seinem Rechner, und dann macht er sich ans böse Werk: "Uwe, ich habe deine Kinderfotos, ich erpresse dich! 10.000 Tacken in bar, oder ich stelle das Bild von deinem Sohn, wo er einen Eisbecher isst, ins Netz!" Oder die böse Sandra speichert alle Fotos ihrer Freundinnen und wütet dann los: "Los, Tina, ich will deine Louboutins! Wenn du nicht spurst, stelle ich das Bild deiner Tochter, da wo sie im Zoo vor dem Elefantengehege steht, ins Netz!"Oha, jetzt habe ich aber Angst! Einerseits ist das Bild ja schon online, zwar nicht ganz öffentlich, weil nur für die engen Facebook-Freunde verfügbar, andererseits verweise ich auf Punkt 1.
NICHTS MACHT DEN MENSCHEN MEHR ZU SCHAFFEN ALS DIE VERÄNDERUNG
5. Die Welt, wie sie heute ist, wird in 5 oder 10 Jahren, wenn unsere lieben Kleinen "groß" sind, schon wieder eine ganz andere sein. Die Kinder wachsen heute nun mal mit Smartphone und Internet auf, und sie entwickeln ein völlig anderes Selbstverständnis dafür, was privat ist, als wir es noch haben. Natürlich bin ich auch der Meinung, dass man damit verantwortungsbewusst umgehen und die Kinder in Sachen Medien erziehen muss, aber weder sehe ich eine Gefahr darin, wenn mein Sohn mit 2 Jahren ein iPad bedienen kann noch den Untergang unserer Kultur. Hier einfach nur den Zeigefinger zu erheben im Stile Fräulein Rottenmeiers, ist doch dämlich.
"NIEMAND MÜLLT SICH DIE FESTPLATTE MIT ANDERER LEUTE BLAGEN VOLL."
Als sich vor ca. 180 Jahren die erste Eisenbahn auf den Weg machte, gab es etliche Gegner, die diese als Satanszeug titulierten. Neben etlichen anderen Beschwerden warnten Ärzte vor den gesundheitsschädigenden Auswirkungen des schnellen Fahrens. Nicht nur die Reisenden seien gefährdet, auch den Zuschauern drohe eine gefährliche Gehirnkrankheit beim Anblick der schnell dahinfahrenden Dampfwagen (Der Wagen fuhr in Schrittgeschwindigkeit, by the way).Nun, wie wir alle wissen, musste niemand schwere Gehirnkrankheiten erleiden. Im Gegenteil, heute brettern wir mit 200km/h über die Autobahnen.
Es war einfach die Unsicherheit der Menschen im Umgang mit dem Neuen. Die Angst vor der Innovation, und dass das Altbewährte, Bekannte und Vertraute langsam ausdient. Nichts macht den Menschen mehr zu schaffen, als die Veränderung. Und so poltern alle über die neuen Medien, über das Internet, über die Technik. Wir wissen einfach nur nicht, wie wir dieser rasanten Entwicklung Herr werden können. Wie sollen wir unsere Kinder erziehen, wenn wir selbst noch nicht mal richtig wissen, wie Social Media geht, welche Regeln es gibt etc? Und das erklärt vermutlich den großen Aufschrei.
SIE GLAUBEN DOCH NICHT IM ERNST, DASS UNSERE KINDER SPÄTER MAL FACEBOOK NUTZEN?!
6. Wahrscheinlich lachen unsere Kinder über diese Debatte später. Wahrscheinlich wird es Facebook in 5 Jahren oder in 10 Jahren gar nicht mehr geben, oder zumindest nicht mehr in dieser Form. Und wenn doch, dann glauben Sie doch nicht im Ernst, dass sich unsere Kinder bei Facebook anmelden würden?! Wie peinlich ist das denn? Ich als mein eigener Sohn würde mich im Jahr 2023 jedenfalls niemals bei diesem Old-School-Facebook anmelden, wo meine ollen Eltern schon seit Jahren drin sind. Also werden unsere Kids diese Fotos, die wir jetzt einstellen, auch niemals zu Gesicht bekommen, und schon gar nicht die Freunde, die das evtl. als Mobbing verwenden würden - wobei ich hier noch mal auf Punkt 4 hinweisen möchte. Es wird in dieser Hinsicht noch so viel passieren, was wir jetzt nicht mal erahnen können. Es wird Software geben, die mir meldet, wer sich meine Fotos angesehen hat und was er damit gemacht hat, es wird ganz neue Firmen geben, die sich auf Web-Reputation spezialisieren, es wird zig neue soziale Netzwerke geben, und generell der Umgang mit Daten wird sich massiv ändern. Ein Teil unseres Lebens (den Teil, den wir selbst bestimmen) wird öffentlich sein. Und da es alle so machen: So what? Siehe Punkt 1.
ES IST IRRELEVANT
7. Herr Schäfer führt auch die Bedrohung des Cybermobbings auf. Hier zum einen Hinweis auf Punkt 4, zum anderen haben doch alle diese "Waffe" in der Hand. Und deshalb wird dieser Waffe die Gefahr genommen. Wer unschöne Dinge von anderen ins Netz stellt, dem droht genauso, dass auch Mist von ihm ins Netz gestellt wird. Und, desweiteren noch Hinweis auf Punkt 1 - je mehr Mist im Netz, desto irrelevanter wird der Mist, und Hinweis auf Punkt 2. Wen interessiert der Mist? Wenn man nicht gerade prominent ist, interessiert das doch niemanden.
WIR STÜLPEN UNSEREN KINDERN SOGAR UNGEFRAGT RELIGIONEN ÜBER UND SCHNEIDEN IHNEN UNGEFRAGT IM BABYALTER SCHNIEDELWUTZSPITZEN AB
8. Aber die lieben Kleinen können sich dagegen doch nicht wehren, sie werden doch gar nicht gefragt! Ähm, auch das ist eine scheinheilige Debatte, die man auf ALLES, ALLES, ALLES in einem Kinderleben ausweiten könnte. Wir Eltern machen schließlich den lieben langen Tag lauter Dinge mit ihnen und fragen sie da auch nicht um Erlaubnis. Wir geben ihnen bescheuerte Namen, für die sie später gemobbt werden können. Und das gab´s übrigens schon immer, schon lange vor dem Internet. Wir geben ihnen Essen, was sie nicht mögen. Wir lassen Tante Erna auf sie aufpassen, die sie eigentlich doof finden. Wir ziehen ihnen blöde Klamotten an. Wir stülpen ihnen sogar Religionen über und schneiden ihnen ungefragt im Babyalter Schniedelwutzspitzen ab. Also da ist das Posten von harmlosen Fotos bei Facebook ja nun wirklich nichts dagegen.
Also, liebe Menschheit, ein paar harmlose Kinderfotos im Netz werden sicher nicht die Seelen unserer lieben Kleinen zerstören. Lasst die Kirche mal im Dorf und empört euch lieber über andere Dinge. Wichtigere. Relevantere.
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