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DER MANN DER AM GATE WEINTE

  • henriettefraedrich
  • 1. Juni 2013
  • 2 Min. Lesezeit

Es gibt so Momente im Leben, die vergisst man nicht. Meistens sind das "große Momente des Glücks" - Hochzeit, Geburt des Kindes, Abiball, der erste Kuss, das erste eigene Auto. Oder "große Momente des Unglücks" - ein geliebter Mensch stirbt, ein Unfall, Krankheit, eine vergeigte Abschlussprüfung, Scheidung.


Und dann gibt es da so kleine Momente, die einem partout nicht aus dem Gedächtnis gehen, die immer mal wieder als Erinnerungs-Dingdong im Hirn aufploppen.


Seit vielen Jahren begleitet mich so ein Moment, und er beschäftigt mich bis heute.


Vor ca. 8 oder 9 Jahren besuchte ich zusammen mit meiner Mutter meine kleine Schwester in Kanada, die dort die 11. Klasse besuchte. Auslandsschuljahr, Sie wissen schon, was man halt heutzutage als weltoffener Bürger so macht. Jedenfalls bot meiner Mutter und mir sich die Gelegenheit, den Besuch mit einer kleinen Rundreise durch British Columbia zu verbinden, wir waren in Vancouver, in Whistler (das unglaublichste Skigebiet der Welt) und in anderen Städten, an die ich mich nicht mehr erinnere.


Als es wieder Richtung Heimat gehen sollte, das übliche Flughafenprozedere: Stundenlang vorher da sein, einchecken, Zeit in Wartehallen tot schlagen, die fremdem Leute beglotzen, Duty-Free-Shops plündern. Ich schlenderte also aus Langeweile allein durch die vielen verzweigten Wartehallen der verschiedenen Gates, hier ein Kiosk, da ein Laden, überall lange Sitzreihen. Es war recht wenig los, nicht viele Menschen, außer an unserem Gate. Mein Blick wanderte in eine leere Wartehalle von einem offenbar gerade nicht in Betrieb befindlichen Gate, und ich sah ganz hinten, dicht am Fenster einen Mann sitzen. Der Mann war vornübergebeugt, die Hände auf die Knie gestützt, den Kopf in die Hände vergraben, und er weinte bitterlich. Es schüttelte ihn regelrecht, das konnte ich sogar aus der Ferne sehen. Mich packte sofort eine Welle von Mitgefühl, obwohl ich gar nicht wusste, warum der Mann weinte, und wer der Mann überhaupt war.


Es gibt nicht viel Entblößenderes als in der Öffentlichkeit zu weinen. Und dann noch als Mann. Umso mehr rührte mich das. Ich fragte mich besorgt, was der Mann wohl hat, ob ich irgendwas für ihn tun könne, ob ich hingehen sollte. Doch dann sagte eine blöde Stimme in mir "Lass den in Ruhe, ist nicht dein Problem, was geht dich ein fremder heulender Mann an, geh zu deinem Gate, dein Flug geht bestimmt gleich los." Ich habe auf diese Stimme gehört und den Mann in Ruhe gelassen.


Doch bis heute läßt mich dieser am Flughafen weinende Mann nicht los. Immer wieder ploppt dieses Bild in meinem Kopf auf, der schluchzende Mann in der hintersten Ecke eines Gates am Flughafen in Vancouver. Ich frage mich immer noch, was ihn so zum Weinen brachte. Und ich bereue es bis heute, nicht zu ihm hingegangen zu sein, und ihm vielleicht einfach nur eine Tasse warmen Kaffee und eine Packung Tempos gebracht und ihm ein klein bißchen Trost gespendet zu haben.

 
 
 

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